Chronik der Inselschule Juist

Am 9.April 1953 konnte die heutige Inselschule nach ca. 10-monatiger Bauzeit eingeweiht werden. Damit bekam Juist endlich ein modernes Gebäude, in dem zeitgemäße Bildungsarbeit möglich war. In der Vergangenheit hatten für Lehrer und Schüler harte Arbeitsbedingungen geherrscht, die uns der von 1933 bis 1965 auf Juist tätige Lehrer und Schulleiter Willy Troltenier in der von ihm gepflegten und fortgeschriebenen Schulchronik sowie in seinem Buch JUIST – GESTERN UND HEUTE anschaulich schildert. Seine Aufzeichnungen bilden die Grundlage dieses Berichtes.

Über „Schule halten“ wird erstmalig in der Zeit um 1700 berichtet. Da ist ein Pastor Elias, vormals Schulmeister in Lütetsburg, mit der „herrlichen Gabe zu predigen und zu catechisieren“. Ein Aktenvermerk besagt, dass er für „Schule halten“ wöchentlich einen Stüver (ostfriesische Silbermünze, geprägt in der Zeit von 1561 bis 1823) und eine „Strandportion“ erhielt (Strandportion ist ein Teil von gesammeltem Strandgut).

Ihm folgte 1704 der Magister Anthon Laurent Altman. Er ist der Ahnherr der heute noch in der 11.Generation auf Juist lebenden Familie Altmanns. Hinsichtlich des „Schule haltens“wurde Altman große Nachlässigkeit vorgeworfen. Dagegen beklagte er sich bei seinem Fürsten:

„Nur A-B-C-darii kommen in die Schule, die großen Kinder weiden das Vieh oder müssen Vogeleier suchen“. Eine fürstliche Anordnung schaffte jedoch keine Änderung. Als Unterrichtsmittel werden angegeben: Ein A-B-C, eine Bibel, ein lutherischer Katechismus. Gelehrt wurde nur Lesen und Religion. Wer Rechnen und Schreiben lernen wollte, musste dies besonders bezahlen. Irgendwelche Hinweise auf die Gestaltung des Unterrichts, der in der Pastorei abgehalten wurde, gibt es nicht.

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Umsiedlung des Loogs wegen der Bedrohung durch das Meer schon so große Fortschritte gemacht, dass im neuen Ostdorf (dem heutigen Ort) eine „Nebenschule“ errichtet wurde. Sie scheint schon ein besonderes Gebäude gewesen zu sein, denn der Lehrer Gnaphaeus klagt: “Solange die Information in der kleinen Schule geschehen muss, wo man im Sommer von der Hitze bald irrig wird und im Winter nicht einmal alle Kinder Platz finden, ist keine Änderung möglich“. Die Schule stand in der Nähe des heutigen Kurhauses, bei dessen Bau 1898 wurden Mauerreste entdeckt.

Zum Schulthema gibt es noch einen Bericht der Landdrostei in Aurich: „Zu wünschen wäre es, dass bei dem bevorstehenden Kirchenbau auch ein bequemeres und räumlicheres Schulhaus auf der Insel Juist möchte besorget werden“. Der damalige Inselpastor Janus antwortete darauf: „Da zur Erbauung der Schule im vorigen Kirchdorf (Loog) ehedem 226 fl und zur Errichtung der Nebenschule 200 fl negotiiret worden und erstere baufällig, die andere (Nebenschule) durch den Zuwachs der Kinder viel zu klein geworden auch die Kirche im Ostdorf (heutiger Ort) erbaut werden sollte und kein Geld zum Bau jener Schule vorrätig war, so wurde zwar jährlich darüber deliberiret, allein nichts ausgemacht“.

Da trat ein „günstiger“ Unfall ein. Ein Schiff strandete 1779 auf einer Plate vor der Insel und war beladen mit Fässern, von denen eines am Juister Strand antrieb. Es enthielt 1000 Pfund Talg. Die Juister baten die Behörde, man möge ihnen die Hälfte der Beute schenken, doch das Ersuchen wurde abgelehnt. Da fassten einige  Insulaner auf Betreiben von Pastor Janus einen hochherzigen Entschluß: sie wollten den ihnen zustehenden Bergeanteil verkaufen und den Erlös für einen Schulneubau stiften. Außerdem sollte den Bauarbeitern freie Verpflegung gewährt werden, so dass der Gemeinde keine Kosten entstehen würden. Die Behörde in Aurich stimmte dem Plan zu und so konnte die Schule in der heutigen Hellerstraße 4 gebaut werden (dort steht jetzt das Dorfgemeinschaftshaus „ALTE SCHULE“). Insgesamt war das ein schönes Beispiel für dörflichen Gemeinsinn, der möglich wurde, weil „Gott wieder einmal den Strand gesegnet hatte“.

Von 1785 bis 1831, also 46 Jahre lang, wirkte Willem Dirks Hinrichs als letzter „Schulhalter“ auf Juist. Von ihm ist ein Bericht über dennachlässigen Schulbesuch Juister Kinder erhalten. Zusammengefasst sieht er so aus: „ 18 Familien hatten insgesamt 37 Kinder. Davon gingen 19 garnicht zur Schule, während der Rest nur gelegentlich erschien. Von einem regelmäßigen Schulbesuch war bei keinem Kind die Rede.“. Der verzweifelte Lehrer unterschrieb „W.D. Hinrichs, der aus Mangel an Schulgeld nichts zu leben hat und am Ende aus Not davonlaufen muss“.

Er ist dann letztendlich doch geblieben, denn der damalige Pastor Ansmink erklärte sich bereit, für 5 Kinder das Schulgeld zu übernehmen, und Hinrichs wollte 5 Kinder umsonst unterrichten. Außerdem erhöhte die Behörde in Aurich seine „Strandportion“. Die Folge war, dass nun statt 18 um die 30 Kinder zur Schule kamen. Das „amtliche“ Urteil über Hinrichs lautete: „Er besitzt eine ziemlich gute Erkenntnis, führet einen untadeligen Lebenswandel, ist recht accurat in seinen Verrichtungen und informieret sehr gut“.

Am 09.Mai 1882 kam Otto Leege als junger Lehrer nach Juist. Er wurde berühmt durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und erhielt im Verlauf seines Lebens viele Auszeichnungen. Von ihm liegt ein Bericht über seine Ankunft auf Juist vor. Dort heißt es u.a.: „Der Eindruck des scheunenartigen Schulbaus war kläglich, besonders, was die anschließende Lehrerwohnung betraf. Das Wohnzimmer war winzig und musste gleichzeitig als Telegrafen-Hilfsstelle benutzt werden. Neben dem anspruchslosen Wohnzimmer mit einem großen Alkoven waren noch zwei Abkammern mit eingezimmerten Holzbetten vorhanden.“

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Schule um 1880. Links Klassenraum, rechts Poststation und Lehrerwohnung

Die Entwicklung des Seebades Juist brachte ein starkes Anwachsen der Einwohner – und damit auch Kinderzahl mit sich, so dass  bereits 1888 ein Klassenraum an die alte Schule angebaut und 10 Jahre später – 1898 / 99 – ein komplett neues Gebäude mit 2 Unterrichtsräumen, ebenfalls in der Hellerstrasse errichtet werden musste.

Während der Nazizeit 1933 bis 1945 wurde erwogen, die Schule 3-klassig zu gestalten und in die Räumlichkeiten der 1934 geschlossenen Schule am Meer im Loog zu verlegen. Aber der Plan scheiterte. Bereits 1933 war Willy Troltenier als Lehrer an die Juister Schule berufen worden, jedoch bei Kriegsausbruch 1939 musste er zur Wehrmacht einrücken und blieb Soldat bis 1945. Ein Jahr später, 1946, kehrte er körperlich unversehrt aus der Kriegsgefangenschaft auf die Insel zurück. Doch was erwartete den Lehrer dort? Scharen von Flüchtlingskindern hatten die Kriegswirren inzwischen nach Juist verschlagen. Bis zu 70 Schülern mussten in zwei Klassenräume gepfercht werden. Andere Kinder fanden Unterkunft im Konfirmandensaal, Rathaus und Unna Kinderheim (heute: Sahling-Häuser an der Wilhelm- und Hugo-Droste-Str.). 5 Lehrer und Hilfskräfte unterrichteten. Es gab keine Schulbücher, kein Schreibpapier oder sonstige Hilfsmittel für den Unterricht. Sitz-gelegenheiten mussten die Schüler von zuhause mitbringen oder man griff auf alte Wehrmachtsbestände wie Hocker, Bänke und Tische zurück. Eine gewisse Entlastung brachte die Spende von 65 neuen Stühlen durch den Fabrikanten Karl Wagner. Der Notwinter 1946 verschärfte die schulische Situation weiter. Unterricht war nur möglich bei Sonnenschein, denn Heizmaterial gab es nicht.

Die meisten Bäume und Sträucher der ohnehin vegetationsarmen Insel waren bereits in den Öfen der auf Juist lebenden Familien gelandet. Am 17. März 1947 zerstörte ein Weststurm, der einen gewaltigen Eisgang im Watt zur Folge hatte, die gesamte Landungsbrücke samt Schienenstrang. Damit war die Fährverbindung zum Festland unterbrochen und konnte erst Monate später durch mühseliges Ein- und Ausbooten auf Reede behelfsmäßig wieder aufgenommen werden. Dieser Zustand dauerte bis zum Mai 1949, erst dann war die neue Landungsbrücke betriebsklar.

Für die Schule war der 01.April 1947 ein großer Tag, denn da begann die Hoover- Schulspeisung, initiiert von den Amerikanern. Die älteren Schüler und alle Lehrer bekamen täglich ¾ Liter, die kleineren ½ Liter Maisgrieß-, Keks- oder Erbsensuppe. Überall sah man Kinder mit Blechnäpfen herumlaufen und zur Essenszeit waren die Klassenräume erfüllt vom Löffelgeklapper. Aus den Schulunterlagen wird belegt, dass täglich 60 Vorschulpflichtige, 264 Schüler, 64 Berufsschüler sowie 20 Lehrkräfte und Helfer mit 350 Kalorien versorgt wurden.

Bereits 1946 versuchte man die Raumnot der Schule zu steuern durch Errichtung einer alten Wehrmachtsbaracke auf dem Schulgelände. 2 Klassenräume konnten so gewonnen werden. 1953 wurde der Holzbau wieder auseinandergenommen und der neu gegründeten Segelflugschule am Flugplatz überlassen, wo sie noch viele Jahre als Flugzeughangar diente.

 

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Schule um 1946. Rechts Schulbau, links Baracke. (Aquarell v. Elisabeth Reuter)

Langsam begannen sich im Nachkriegsdeutschland die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu konsolidieren. Die Währungsreform 1948 und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 waren sichtbare Zeichen hierfür. Juist gehörte nun zum Bundesland Niedersachsen, und der Kultusminister war oberster Dienstherr sämtlicher Schulen. Auf Juist hatten sich die schulischen Bedingungen durch den Wegzug vieler Flüchtlingsfamilien zwar erheblich verbessert, waren aber immer noch weit von einem normalen Standard entfernt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb entwickelte sich ein „eigenwilliges“ Schulleben, das gekennzeichnet war durch eine Reihe von (wenn auch nicht offiziell genehmigten) pädagogischen Experimenten. Es wurde zum Beispiel Englisch-Unterricht erteilt und in Leistungsgruppen gearbeitet. Als eines Tages die Schulaufsicht des Regierungs-präsidenten erschien, kam es zu einer Aussprache über einen „Schulversuch“, von dem im gesamten Land etwa 20 eingerichtet werden sollten. Juist war als einzige Insel dabei. Nachdem der Gemeinderat seine Zustimmung gegeben hatte, wurden der Schule eine 5. Lehrkraft und ein Studienrat bewilligt. Die Rektor-Stelle hatte Willy Troltenier inne. Der Name des Schulversuchs lautete: „Volksschule mit differenziertem Mittelbau“.

Damit war der richtige Augenblick gekommen für die Planung eines Schulneubaus. Als Standort erschien der Gatenaweg (heute: Schoolpad) besonders günstig, da dort viele Ausbaumöglichkeiten bestanden. Die Regierung bewilligte 3 Klassen- und einen Gruppenraum.

Die Gemeinde baute aber 4. Als der am 14. April 1952 begonnene Neubau halb fertig war, stellte die Behörde fest, dass man eigentlich gar nicht hätte bauen dürfen, da das Gelände unter dem Verfügungsrecht der Besatzungsmacht stand, denn dort waren früher einmal militärische Anlagen stationiert (die Batterien Scheer und Pohl). Trotzdem wurde weitergebaut, am 03. April 1953 feierlich eingeweiht und der Verstoß gegen alliierte Bestimmungen später stillschweigend legalisiert.

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Computerraum

1954 schloss der 1. Teil des Schulversuchs ab mit der Berechtigung für die teilnehmenden Schüler zum Übertritt in die Klasse 9 von weiterführenden Schulen. Getrennte Vorstellungen von Schulleitung und Gemeinderat im Kultusministerium führten dann zur Genehmigung der festen Einrichtung einer 9. und 10. Klasse als „Gehobene Abteilung“ und der Absolvierung der Prüfung zur „Mittleren Reife“. Damit konnte der Schulversuch 1965 als endgültig abgeschlossen erklärt werden.

Im gleichen Jahr wurde Rektor Willy Troltenier pensioniert, blieb der Schule aber weiterhin als Vertragslehrer erhalten. Als Interimslösung übernahm Margot Stahn die Schulleitung, die dann ab 1966 an Karl-Heinz Heyen überging. 1967 konnte das Schulgebäude wesentlich vergrößert werden, erhielt eine Reihe von Sonderräumen, eine Turnhalle sowie einen Sportplatz. Dies waren Voraussetzungen für die Anerkennung als „Volksschule mit Förderstufe und Realschulzweig.“

Später entwickelte sich die Volksschule zur Grund- und Hauptschule während die Förder-stufe die Bezeichnung „Orientierungsstufe“ erhielt. 2004 wurde sie wieder abgeschafft.

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Werkraum

Als Rektoren der Inselschule waren nach Herrn Karl Heyen tätig:

  • Herr Jörg Dünnebier von 1983 bis 1989
  • Herr Walter Bockenhaus von 1989 bis 2006
  • Herr Martin Tecklenburg von 2006 bis 2012
  • Kommissarisch übernahmen Herr Paul-Peter Walter

(1983) und Herrr Gerrit Schlauwitz (2012) die Schulleitung.

Letzterer wurde 2013 offiziell in dieses Amt berufen.

Alle Herren bemühten sich zusammen mit dem Lehrerkollegium, den Schulelternrat, dem 1965 gegründeten Förderverein Inselschule e.V. und der Inselgemeinde um eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Bildungseinrichtung. So konnten 1978 2 neue Klassen- und

3 Verwaltungsräume sowie 1981 die Leichtathletikanlage auf dem Sportplatz in Betrieb genommen werden. Nach und nach entstanden Fachräume für Naturwissenschaften, Kunst, Werken, Textil und Musik.

Zur besseren Abstimmung mit Festlandseinrichtungen schloss die Inselschule 2005 Kooperationsverträge mit der Haupt- und Realschule Norden sowie dem Internatsgymnasium Esens ab.

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Physikraum

2011 stellten Schulleitung und Inselgemeinde den Antrag auf Anerkennung als „Grund-, Haupt- und Realschule mit offener Ganztagsschule“. Nach langen Diskussionen mit Vertretern der Schulaufsichtsbehörde erteilte diese dann 2012 die Genehmigung zur Einrichtung einer „Oberschule mit teilgebundener Ganztagsschule“. Hierzu soll auch eine Kantine gehören. Gleichzeitig gab sie grünes Licht für das Projekt „Video-Konferenz“ zwischen den Inselschulen und dem Niedersächsischen Internatsgymnasium Esens  (NiGE).

Für das Lehrerkollegium der Inselschule wird das Jahr 2013 also nicht nur Anlass zur Feier des 60. Geburtstages ihres Hauses sein, sondern auch eine Fülle neuer pädagogischer Herausforderungen bereithalten. Viel Glück für den Start in das nächste Jahrzehnt wünscht der STRANDLOOPER.

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Text u. Fotos: Hans Kolde

Quellen: Schulchronik, Troltenier: Juist – gestern u. heute.